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Key West/Florida

Karibisches Flair unter dem Regenbogen-Banner

Freitagabend in Key West. Nur im Schritttempo erreicht man die Innenstadt. Überall sind Menschen auf der Straße, die anfangs gesäumt wird von eleganten weißen Holzhäusern mit tiefen Veranden und reich verzierten Geländern. Weiter in Richtung Zentrum werden sie zunehmend abgelöst von Ladenzeilen, die auch spät abends noch zum Bummel einladen.
Ein paar Jugendliche haben meterhohe Lautsprecher auf die Ladeflächen ihres roten Pickup gestellt und fahren im Schritttempo die Duval Street auf und ab. Jedesmal wenn sie am "La Concha" vorbei kommen, lassen die dröhnenden Beats die Fensterscheiben an der Straßenseite des altehrwürdigen Hotels mit dem atemberaubenden Blick von der Dachterrasse vibrieren. Aber das stört hier keinen. Schließlich ist man dafür auch im Zentrum des Geschehens.
Die Duval Street ist die Hauptschlagader von Key West. Hier drängeln sich tagsüber die Minizüge und Fahrradrikschas, in denen die Kreuzfahrttouristen die Stadt im Eiltempo erkunden. Und hier steppt nach Einbruch der Dunkelheit der Bär. Susanne aus Düsseldorf fühlt sich angesichts zahlreicher Stände mit Kleinkunst an die Kirmes daheim erinnert. Nur dass es dort wohl niemanden gibt, bei dem man gegen einen kleinen Obulus mit armdicken Schlangen oder giftgrünen Leguanen für´s Erinnerungsfoto posieren kann. Und sicher auch keine Go-go-Bar in einer ehemaligen Kirche, wo dralle Blondinen zum "Mambo Number Five" die Hüllen fallen lassen.
Key West ist schräg und unkonventionell. Seit jeher. Am südlichsten Zipfel einer gut 300 Kilometer langen Perlenschnur von 800 Inseln und Inselchen gelegen, zog es ein buntes Völkchen an. Gesetzlose konnten sicher sein, dass ihnen hier unten, auf halber Strecke zwischen Südfloridas Festland und den Westindischen Inseln, nichts passieren würde. Viel zu beschwerlich war der Weg. Noch in weiter Zukunft die 42 Brücken, über die man sich heute bequem seinem Ziel nähert.
Im Norden, bei den Oberen Keys, hat man noch den Eindruck, kleine Flüsse und Tümpel zu überqueren. Hierher lockt Key Largo Naturliebhaber und Wassersportler. Im Norden befindet sich mit dem 370 Quadratkilometer großen Biscayne National Park Amerikas größter Meeresnationalpark. Etwas weiter südlich der erste Unterwasserpark der USA, der John Pennekamp Coral Reef State Park, dessen artenreiche Korallenbänke sich Schnorchlern bei geführten Touren erschließen. Unter anderem trifft man hier auf die Ohrmuschel "conch", die Namensgeberin für den hier typischen Baustil, das örtliche Footballteam sowie die Ureinwohner von Key West wurde. Wer im Wasser lieber über der Oerfläche bleibt, kann zu Flippers Verwandten ins Meer steigen. Etwa in Dolphins Cove. Vormittags werden hier unter der Leitung von Dr. Daniel Nathanson behinderte Kinder im Spiel mit den hochintelligenten und extrem sensiblen Meeressäugern therapiert. Danach dürfen Touristen gegen einen entsprechenden Obulus mit dem dicken Alfons und seinen Gefährten planschen.
Etwas weiter südlich liegt Islamorada, die selbsternannte Weltmetropole der Sportfischerei. Als "Kuhinsel" bezeichneten die Spanier wegen der früher zahlreichen Seekühe das heutige Marathon, die Hauptinsel der Mittleren Keys. Ihren Namen erhielt sie vor hundert Jahren in Anlehnung an die zermürbende Arbeit der Eisenbahnbauer. Die Unteren Keys erreicht man über die längste, die zwölf Kilometer lange "Seven Mile Bridge". Als Henry Flaglers Bautrupps 1911 den ersten Betonsteg dafür fertiggestellt hatten, galt dieser als das achte Weltwunder. Und noch heute hat es etwas wunderbares, mit dem Auto scheinbar durchs Meer zu fahren. Links und rechts nichts als Wassser.
Vor Flaglers Brücken war der Wasserweg die einzige Möglichkeit nach Key West zu gelangen. Wobei nicht alle, die ankamen auch wirklich hierhin wollten. Gefährliche Strömungen, schnelle Witterungsänderungen, Sandbänke und Riffs vor der Küste sorgten mit viel Strandgut nicht nur für eine internationale Bevölkerung. Sie brachten auch einen etwas ungewöhnlichen Berufszweig auf die ehemalige Seeräuber-Insel, deren Namen sich nach einem Fund großer Mengen menschlicher Knochen aus dem spanischen Caya Hueso, "Insel der Knochen", ableitet. Die sogenannten "Shipwrecker", die Schiffbrüchige und vor allem deren Ladung, vor dem Untergehen retteten. Ein florierendes Geschäft, das zusammen mit dem Ausbau militärischer Befestigungsanlagen dazu führte, dass Key West 1888 mit 18000 Einwohnern größte Stadt Floridas war. Und, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, die reichste der USA.
30 Jahre später stand Key West vor dem Bankrott: Der Börsenkrach, die Schließung der US-Marinebasis, eine Seuche in den Schwammbetten und der verheerende Hurrikan von 1935, der unter anderem die Eisenbahnlinie zerstörte, ehe die Bewohner evakuiert werden konnten. Die Brücken wurden erneuert. Die Eisenbahn nicht mehr. Auf ihren Fragmenten stehen heute ganze Heerscharen von Anglern, die in den artenreichen Gewässern "ihre Urinstinkte vom Jagen und Sammeln befriedigen", wie es Henry aus Fort Myers nennt.
Wer ganz hinunter fährt nach Key West tut dies nicht wegen des Angelns oder zum Wassersport. Hierher kommt man wegen der Atmosphäre und wegen der Toleranz. Das bunte Völkergemisch am südlichsten Zipfel Floridas, das auch die zahlreichen Exilkubaner prägen gibt sich offen und kosmopolitisch, wie nicht nur die Schwulenszene zeigt. Und manchmal auch ein wenig renintent. Wie 1982 als sich Key West mit einem Augenzwinkern zur Republik erklärte. Ihre regenbogenfarbige Flagge, die noch heute vor vielen Häusern hängt, erinnert daran. Auch in der Whitehead Street an deren Ende einer der Pflichtstopps für Touristen liegt: Amerikas südlichster Punkt.
Genau genommen befindet sich der südlichste Punkt der USA auf Big Island, seit Hawaii 1950 amerikanischer Bundesstaat wurde. Doch über solche Spitzfindigkeiten geht man auf Key West stillschweigend hinweg und pflegt das Gewohnheitsrecht, den "southernmost point" für sich zu reklamieren. Einschließlich aller marketingtechnischer Möglichkeiten, die so ein Superlativ mit sich bringt.
In der Beziehung steht die dicke Tonne mit ihren schwarz-rot-goldenen Streifen, die jeden Tag auf hunderten von Erinnerungsfotos verewigt wird, ohnehin nicht im Mittelpunkt des Interesses. Da gibt es noch andere Attraktionen. Den Sonnenuntergang etwa mit seinen sagenumwobenen grünen Blitzen, der täglich am Mallory Square zelebriert wird. Mit Schwertschlucker, Scherbenläufer und einem unscheinbaren Kraftprotz, der mit den Zähnen Einkaufswagen und ähnliches sperriges Mobiliar balanciert.
Oder Hemingway, der von 1931 bis 1940 in Key West lebte. Literaturliebhaber pilgern zu seinem damaligen Wohnsitz in der Whitehead Street. Nicht weit entfernt vom Meilenstein Null des Highway One, der in Key West beginnt und 4173 Kilometer weiter im Norden in Fort Kent im Bundesstaat Maine endet.
Hier im Gartenhaus der schmucken Villa im spanischen Kolonialstil soll "Papa" Hemingway gesessen und geschrieben haben. Unter anderem "Haben und Nichthaben", das in Key West spielt. Heute sind Haus und Tropengarten, durch den grazil die Nachfahren seiner sechszehigen Katzen streifen, ein Museum und Pilgerstätte seiner Fans.
Noch weitaus größer ist der Andrang jedoch in den Stammlokalen des Nobelpreisträgers. In "Captain Tony´s Saloon", dem die Gäste mit abertausenden Visitenkarten eine Art Schuppenpanzer verpasst haben. Und gleich um die Ecke "Sloppy Joe´s Bar" mit angeschlossenem Souvenirshop, in dem sich das Sortiment von der Hemingway-Havanna bis zum Hemingway-Pyjama erstreckt. Doch wer hat in dieser Stadt, in die man kommt um zu feiern, um die Lebenslust zu spüren, schon Zeit zu Schlafen?

 
 
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