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Weihnachten in Florida

Santa Mania im Sunshine State

Congratulations! Herzlichen Glückwunsch! Bill der Hausdiener im feinen Registry-Hotel in Naples an der Westküste Floridas strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Beim Smalltalk im Aufzug hat der Mann in der goldbetressten Uniform erfahren, dass seine Gesprächspartner im Lift aus Deutschland kommen. Und da, so ist er sich sicher, gibt es das, was gerade in Amerikas „Sunshine State“ als Inbegriff des bevorstehenden Festes gilt: Weiße Weihnachten.

„Wir haben heuer wenig Schnee“, merkt er augenzwinkernd an, ehe die Tür aufgeht und den Blick auf die Lobby freigibt. Bombastisch, wie so vieles im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, ist in der weitläufigen Halle eine Winter-Wunderwelt inszeniert, bei deren Anblick es einem erst einmal die Sprache verschlägt.

Da gruppieren sich Rentiere mit und ohne Schlitten um Palmen. Da stehen lebensgroße Hirsche in einem Wald aus Tannen, die so hundertprozentig Kunststoff sind, wie der flitterige Schnee, der üppig über alles gestreut ist. Echt dagegen sind die Lebkuchenhäuschen, die auf einer überdimensionalen Platte zum winterlichen Dorf drapiert sind. Eigentlich ein hübsches Arrangement. Doch angesichts 25 Grad Außentemperatur für den Gast aus unseren Breiten – vorsichtig ausgedrückt - sehr gewöhnungsbedürftig. Auch wenn die Santa-Mania seit dem Betreten amerikanischen Bodens überall um ihn herum grassiert.

Truthahn und Kürbiskuchen, mit denen die USA traditionell am vierten Donnerstag im November Erntedank feiert, sind noch kaum verdaut, da bricht auch schon das kollektive Weihnachtsfieber aus. „Wir schmücken immer am Freitag nach Thanksgiving“, erzählt Mrs. Cecilia, während sie zusammen mit ihrer Tochter und der deutschen Austauschstudentin Maria Kisten in den Vorgarten schleppt. Darin enthalten ist alles, was in den Augen der Hausfrau aus Orlandos elegantem Vorort Winter Park zu einer ordentlichen Weihnachtsdekoration gehört. Vornehmlich sind dies Lichterketten und allerlei Pretiosen, die man beleuchten kann. Die bunte Fahne mit dem Konterfei des pausbäckigen Santa Claus, die dieser Tage vor fast jeder Eingangstür flattert, nimmt sich dabei vergleichsweise unbedeutend aus. Beeindruckender sind da schon die Rentiere und Nikoläuse, sowie die Eiszapfen-Lichterketten, die Mrs. Cecilia sorgfältig an der Dachrinne befestigt.

Für die Innendekoration ist Maria zuständig. In Shorts und T-Shirt steht die angehende Ärztin im Wohnzimmer auf der Trittleiter und befestigt knallbunte Kugeln am ausladenden Weihnachtsbaum; einer mustergütligen Tanne aus Montana, wie es sie für knapp 100 € beim Christbaumverkäufer an der Straße gibt. Die Tatsache, dass Maria aus Bayern stammt, macht sie zur unangefochtenen Fachfrau in Sachen Weihnachtsdekoration. Als solche erhält sie in den kommenden Tagen noch jede Menge Einladungen zum Bäume-Aufputzen. Dass bei ihr trotz Advent, Jingle-Bells-Dauerberieselung und den ersten stolz präsentierten Grußkarten auf der Anrichte im Wohnzimmer der Gasteltern keine Weihnachtsstimmung aufkommen mag, schreibt sie dem Wetter zu.

Viel Sonnenschein, Temperaturen weit über zwanzig Grad, wenig Regen. Kein Wunder, dass der südlichste Bundesstaat der USA seit Jahren bevorzugtes Winterquartier für kälteempfindliche Nordstaatler ist. „Snowbirds“ nennt der Volksmund die Rentner, die sich im Herbst hier für einige Monate niederlassen. So, wie die Zugvögel, die hier von Tag zu Tag zahlreicher zu beobachten sind und besonders in den Nationalparks der Everglades oder im J.N. „Ding“ Darling National Wildlife Refuge auf Sanibel Island von Ornitologen aus aller Welt beobachtet werden.

Während Vögel, Alligatoren und Manatees - jene vom Aussterben bedrohten robbenähnlichen Säugetiere mit Ruderschwanz und Kuhmaul - das ganze Jahr über Aufsehen erregen, bricht für die Delfine in Dolphins Cove in Key Largo nun die ruhige Zeit an. Weihnachtsferien für den dicken Alfons, seine Mutter und ihre vier Artgenossen. Zwar können nach wie vor Touristen gegen einen Obolus von 125€ für ein paar Runden Schwimmen zu ihnen ins Wasser steigen, doch das ist die Kür. Und der geht bekanntlich die Pflicht voraus. Für Alfons, Spunky und die anderen ist dies das Training mit geistig und körperlich behinderten Kindern. Vor 21 Jahren begründete der Psychologe und Verhaltensforscher Dr. David Nathanson seine „Dolphin Human Therapie“. Ausgehend von der Überlegung, dass einerseits der Umgang mit Tieren große therapeutische Vorzüge hat, und dass andererseits körperliche Beeinträchtigungen im warmen Wasser deutlich nachlassen, reifte in dem gebürtigen Schotten, der in Hawaiihemd, Shorts und Käppi am Ufer steht, die Idee, beides miteinander zu vereinen. So kamen die Delfine ins Spiel.

Bei Dr. Nathason sind die hochintelligenten Tiere Teil eines Therapeutenteams. Im Spiel mit den fröhlich schnatternden Meeressäugern sollen die Aufmerksamkeit und dadurch auch die Aufnahmefähigkeit der jungen Patienten gesteigert werden. Nach seinen Beobachtungen könnte bei der Delfin-Therapie das Lernvermögen der Kleinen im Vergleich zu konventionellen Methoden um das Vierfache gesteigert werden. Offensichtlich ist, dass Delfine und Kinder viel Freude miteinander haben. Da stupst der dicke Alfons ganz vorsichtig den kleinen Jungen an, der mit seiner Therapeutin auf einem Floß am Meeresufer sitzt und verschiedene Koordinationsübungen macht. „Komm, spiel mit mir“, scheint er zu sagen, ehe er wieder abtaucht, um mit einem eleganten Sprung die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Von nebenan hört man nicht nur das gelegentliche Schnattern der Delfindame Spunky, sondern auch fröhliches Kinderlachen. Ein rothaariges Mädchen mit dicken Zöpfen planscht kichernd und prustend im Wasser, während Spunky langsam und geschmeidig heranschwimmt. Kind und Therapeutin greifen an die kräftige Rückenflosse und los geht’s per Delfin-Anhalter. Zum letzten Mal in diesem Jahr, denn während Wasser und Luft für unsereinen noch angenehme Temperaturen aufweisen, ist es für die oft schmächtigen Kinder trotz Neoprenanzug zu kalt. Da helfen auch Wärmflaschen und kuschelige Handtücher nur bedingt. Und so kommt es, dass auch die Delfine in Dolphins Cove Weihnachtsferien haben.

Wie ein Kulturschock ist der Ortswechsel aus der Abgeschiedenheit von Dolphins Cove in den vorweihnachtlichen Einkaufstrubel. „Shopping“ heisst das Zauberwort, das die Augen vieler ähnlich zum Glänzen bringt, wie Bills Träume von der „Weißen Weihnacht“. Der Schlussverkauf nach Thanksgiving kommt gerade recht. Und wer sich erst einmal ein paar Stunden in einem der riesigen Einkaufszentren, wie der „Sawgrass Mills Mall“ bei Fort Lauderdale - mit über 270 Outlet- und Discount-Shops unter einem Dach eine der größten Shopping-Meilen des Landes – aufhält, ausgekühlt durch permanente Klimatisierung und im Angesicht von Santa Claus und Winterwelt in unzähligen Variationen, bei dem kann vielleicht auch die Stimmung von Weihnachten mit Schnee aufkommen.

 
 
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